Friedensnobelpreis 1936: Carlos de Saavedra Lamas

Friedensnobelpreis 1936: Carlos de Saavedra Lamas
Friedensnobelpreis 1936: Carlos de Saavedra Lamas
 
Der argentinische Außenminister erhielt den Friedensnobelpreis für seine Mitwirkung an der Beendigung des Kriegs zwischen Bolivien und Paraguay.
 
 
Carlos de Saavedra Lamas, * Buenos Aires 1. 11. 1878, ✝ Buenos Aires 5. 5. 1959; 1910-46 Professor für Rechtswissenschaften an der Universität von Buenos Aires, 1919 Beteiligung an der Gründung der internationalen Arbeitsorganisation, 1932-38 argentinischer Außenminister, 1936 Präsident des Völkerbunds.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Carlos de Saavedra Lamas nimmt in der Geschichte des Friedensnobelpreises eine besondere Stellung ein. Zum ersten Mal überhaupt erhielt diesen Preis weder ein Europäer noch ein US-Amerikaner. Die Auszeichnung für den argentinischen Außenminister im Jahr 1936 bedeutete insofern auch eine Aufwertung der südamerikanischen Politik insgesamt.
 
 Gründung der ILO
 
Die Leistung, die das Nobelpreiskomitee würdigte, war der wesentliche Beitrag von Saavedra Lamas zur 1935 erfolgten Beendigung eines langjährigen Kriegs zwischen den südamerikanischen Staaten Bolivien und Paraguay. Doch der aus elitären Kreisen stammende argentinische Politiker war schon vorher durch sozial- und friedenspolitische Aktivitäten aufgefallen. Als gelernter Jurist war er von Anfang an in seinem Handeln bestrebt, das Recht als die Grundlage menschlicher und staatlicher Beziehungen zu verankern. Erste internationale Erfahrungen sammelte Saavedra Lamas auf einer Studienreise nach Paris. Sorgfältig registrierte er dort die Situation der Arbeiter in Landwirtschaft und Industrie. 1919 beteiligte er sich an der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO), einem Zusammenschluss mehrerer Staaten mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsländern zu verbessern und gegen die Armut zu kämpfen. Nach den Vorstellungen von Saavedra Lamas war dies die Voraussetzung für die Herstellung von friedlichen Verhältnissen in den einzelnen Staaten und darüber hinaus auch für internationalen Frieden. Aus Anlass ihres 50-jährigen Bestehens wurde die ILO 1969 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. In Anerkennung seiner Verdienste um die ILO wurde Saavedra Lamas 1928 zu deren Präsident gewählt. Zugleich kämpfte er in verschiedenen politischen Ämtern für eine Verbesserung der Ausbildung in seinem Heimatland. Auf seine Bemühungen geht eine nationale Garantie des Rechts auf Arbeit zurück.
 
 Der Chaco-Krieg
 
1932 wurde Saavedra Lamas Außenminister in der konservativen Regierung Präsident Augustin Justos. In dieser Eigenschaft galt sein ganzes politisches Wirken der Beilegung des Kriegs, der im selben Jahr zwischen Argentiniens Nachbarstaaten Paraguay und Bolivien ausbrach. Streitpunkt waren die Ansprüche, die beide Parteien auf die Region Chaco im Grenzgebiet zwischen Bolivien und Paraguay erhoben. Infolgedessen ist diese Auseinandersetzung als Chaco-Krieg in die südamerikanische Geschichte eingegangen. Bereits 1905 hatte die bolivianische Regierung dort Siedlungen angelegt. Paraguay reagierte seinerseits mit der Errichtung von Stützpunkten. Außerdem wurden von Paraguay aus deutschstämmige Mennoniten aus Kanada im Chaco angesiedelt. Die Anwesenheit von Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft, die die reine christliche Lehre der Bergpredigt propagierte, führte zu einer weiteren Verschärfung der Lage. Zugleich entdeckte Bolivien nun die wirtschaftliche Bedeutung der Chaco-Region. Man hoffte, über dieses Gebiet Zugang zum Fluss Paraguay und damit zu den Küsten des Atlantiks zu erhalten, um von dort die Erdölvorkommen Boliviens exportieren zu können.
 
1932 eskalierten die Spannungen in einem offenen Krieg, wobei die Initiative zu den militärischen Aktionen von Bolivien ausgegangen war. Von Argentinien aus entwickelte Saavedra Lamas rege diplomatische Aktivitäten, um die blutigen Auseinandersetzungen zu einem Ende zu bringen. Einen ersten Erfolg konnte er im Oktober 1933 verbuchen. In Rio de Janeiro unterzeichneten sechs südamerikanische Staaten, neben Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko und Uruguay auch das im Krieg befindliche Paraguay, einen Kriegsächtungspakt, der nach seinem Initiator künftig als Saavedra-Lamas-Vertrag bezeichnet wurde. Angriffskriege sollten nach diesem Abkommen verboten sein und Konflikte durch Schiedsgerichte beigelegt werden. Als Staatsgrenzen wollte man nur solche anerkennen, die auf friedlichem Wege entstanden waren. Das Zustandebringen des Vertrags brachte Saavedra Lamas allgemeine Anerkennung und machte ihn zum prominentesten Politiker Südamerikas. Der 1932 gewählte US-Präsident Franklin Delano Roosevelt nahm mit ihm Kontakt auf, um die Beziehungen zwischen den USA und den Staaten Lateinamerikas zu verbessern. Daraufhin beteiligte sich Argentinien an der Panamerikanischen Union, die auf eine engere Kooperation zwischen den Staaten auf dem amerikanischen Kontinent abzielte.
 
Dem Krieg zwischen Paraguay und Bolivien konnte der Saavedra-Lamas-Vertrag jedoch keinen Einhalt gebieten. Im Gegenteil wurden die Kampfhandlungen immer heftiger. Zahlenmäßig und in Bezug auf die Ausrüstung war die bolivianische Armee den Streitkräften Paraguays weit überlegen. Verfügten die Bolivianer über 60 000 Soldaten, so zählte die Armee Paraguays zu Beginn der Kämpfe nicht mehr als 3000 Mann. Dennoch gelang Paraguay 1934 ein unerwarteter militärischer Erfolg in der Schlacht bei Picuiba gegen die vom deutschen General Hans Kundt geführte Armee der Bolivianer. Das brachte die Wende und förderte auf Seiten Boliviens die bei den Paraguayern schon länger vorhandene Verhandlungsbereitschaft.
 
 Der Krieg wird beendet
 
Wieder übernahm Saavedra Lamas die Rolle des Vermittlers und Schlichters. Eine von ihm organisierte Friedenskonferenz in Buenos Aires erklärte am 21. Juni 1935 den Krieg zwischen Bolivien und Paraguay für beendet. Seit seinem Ausbruch 1932 hatte er über 80 000 Soldaten das Leben gekostet. Als Architekt des Friedens im Chaco-Krieg erhielt Carlos de Saavedra Lamas 1936 den Friedensnobelpreis. Eine weitere internationale Anerkennung seiner Leistungen als Friedensstifter war die im gleichen Jahr erfolgte Ernennung zum Präsidenten des Völkerbunds in Genf.
 
Die Verhandlungen für eine Lösung im Chaco-Konflikt zogen sich allerdings noch bis 1938 hin. Im Sinne der von Saavedra Lamas vertretenen Idee der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit waren alle südamerikanischen Staaten sowie die USA an dem Entwurf einer Nachkriegsordnung beteiligt. Schließlich wurden Paraguay seine traditionellen Rechte auf das Chaco-Gebiet bestätigt. Zum Ausgleich erhielt Bolivien in der Zone um die paraguayische Hafenstadt den angestrebten Zugang zum Meer. Im selben Jahr 1938 musste Saavedra Lamas nach innenpolitischen Querelen den Posten des argentinischen Außenministers abgeben.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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